Beitrag erstellt von Karin Sauter-Singh (Sozialpädagogin FH & Heilpädagogische Früherzieherin MA), 01.06.2024.
Förderung der Sprachentwicklung bei Babys und Kleinkindern
Die beste Förderung der Sprachentwicklung findet im Alltag statt. Intuitiv passen wir unsere Sprache und das Sprechverhalten an, wenn wir mit Babys oder Kleinkindern kommunizieren. Wir erhöhen unsere Stimmlage, sprechen melodischer, deutlicher und sorgfältiger. Wir dehnen Vokale aus (z.B. «Traktooor»), verlangsamen die Sprechgeschwindigkeit und wiederholen zentrale, alltagsnahe Wörter häufig. Was teilweise für Aussenstehende lustig klingt, hat einen sehr wichtigen Mehrwert für die Sprachentwicklung der Kinder. Die Sprache wird dadurch besonders reizvoll, das Gehörte kann besser aufgenommen werden und Lernen wird angeregt.
Der Alltag bietet unglaublich viele Möglichkeiten für die Sprachförderung. Es ist wichtig und hilfreich, eigene Handlungen zu erklären und zu benennen, auch wenn das Kind selbst noch nicht sprechen kann. Mit grösseren Kindern können kleine alltägliche Situationen für anregende Gespräche genutzt werden. Dabei ist es besonders sinnvoll, offene Fragen zustellen, Zeit für die Antwort zu lassen, abzuwarten, zuzuhören und Aussagen vom Kind aufzugreifen und zu wiederholen. Solche Gespräche mit Kindern, weichen im Alltag leider oft der vermehrten Präsenz digitaler Medien (Smartphone, TV, usw.). Diese Medien verringern die zwischenmenschliche Kommunikation und schränken dadurch die Lernmöglichkeiten gravierend ein. Dies könnte mit ein Grund dafür sein, dass immer mehr Kinder Auffälligkeiten in der Sprachentwicklung zeigen, wie einen verspäteten Sprechbeginn, undeutliche Aussprache und wenig direkte Interaktion. Die Nachfrage nach frühkindlicher logopädischer Unterstützung nimmt stetig zu und während nach wie vor ein Fachpersonenmangel herrscht.
Was wenn die Sprachentwicklung «verzögert» ist?
Wenn das Kind nicht so zu sprechen beginnt, wie es die Eltern erwarten, kommt oftmals grosse Unsicherheit auf. Die Eltern fühlen sich unter Druck und denken, dass sie ihr Kind mehr fördern müssen und rutschen dadurch in sprachentwicklungshemmende Strategien. Vermieden werden sollten unbedingt Druck verursachende Verhaltensweisen wie Abfragen, Nachsprechen lassen oder das Kind zum Sprechen zu drängen. Auch korrigieren oder auf Fehler aufmerksam machen sind für die Sprachentwicklung mehr hinderlich als förderlich. Es gibt unterschiedlichste Gründe, weshalb die Sprachentwicklung Auffälligkeiten zeigt. Viele Kinder können mit wenig Unterstützung viel aufholen. Wenn Sie unsicher sind, ob ihr Kind im normalen Entwicklungsbereich liegt oder Hilfe benötigt, gibt es in der Schweiz ein gut abgestütztes Netz für die Unterstützung in der Frühen Kindheit. Sprechen sie über ihre Besorgnis mit ihrem Kinderarzt oder wenden sie sich direkt an die Heilpädagogische Früherziehung in Ihrem Wohnkanton. Für Sie als Eltern ist dieses Angebot kostenlos.
Bilderbücher zur Sprachförderung
Gemeinsam mit Kindern in die Welt der Bilderbücher einzutauchen ist ein unfassbar kostbarer Schatz. Nicht nur für die Sprachentwicklung ist dies ein besonderer Mehrwert. In unterschiedlichen Studien der „Stiftung Lesen" zeigten sich enge Verbindungen zwischen dem Vorlesen und dem späteren Schulerfolg. Kinder, denen regelmässig vorgelesen wird gehen lieber zur Schule, zeigen mehr Freude am Lernen, sind wissbegieriger und können sich Neues schneller merken. Die positiven Effekte zeigen sich aber nicht nur in den sprachlich-kognitiven Fähigkeiten, sondern auch im sozial-emotionalen Bereich. Diese Kinder zeigen mehr Sensibilität und Empathie, sind sozial engagierter, integrierter und stehen vermehrt für andere ein. Das vertraut machen mit Bilderbüchern beginnt bereits in den ersten Lebensmonaten. Schon vor dem ersten Geburtstag zeigen Kinder ein natürliches Interesse an Bildern und Büchern, welches aufgegriffen und für gemeinsame Erlebnisse genutzt werden sollte. Das „Vorlesen“ ist hierbei nicht als starres Ablesen aus dem Bilderbuch zu verstehen. Vielmehr dient das Bilderbuch als Grundlage für gemeinsame Interaktion, Entdecken, Philosophieren und erste Gespräche.
Es gibt sehr viele tolle Bilderbücher zu unterschiedlichsten Themen und Interessen auf dem Markt. Ein ganz besonderes Bilderbuch soll hier kurz vorgestellt werden; „Drei Tiere reisen mit dem Zug“. In dieser Geschichte reisen die Ente „Quak“, der Hund „Wuff“ und die Katze „Miau“ von der grossen Stadt nach Hause. Es gibt unterschiedliche Stopps und ein Tier nach dem anderen steigt bei seinem Zuhause aus. Dieses Buch wurde von Fachpersonen entwickelt und bietet einen ganz besonderen Mehrwert für die Sprachenwicklung. Der Text orientiert sich am Kernvokabular, welches gemäss Forschung der Unterstützten Kommunikation etwa 80% unserer Alltagssprache ausmacht. Diese Wörter, wie z.B. „essen“, „schlafen“, „trinken“, „Wo?“, helfen Kindern dabei, sich möglichst rasch im Alltag ausdrücken zu können. Das Bilderbuch lässt sich durch die bewusste Gestaltung zudem individuell an das aktuelle Sprach- und Aufmerksamkeitsniveau der Kinder anpassen. Von Lautmalereien bei den verschiedenen Tieren, über das Miträtseln durch Fragen, das Entdecken von kleinen versteckten Details wie dem Vogel „Pieps“, bis hin zum Nachspielen der Geschichte (z.B. mit der Briobahn). Da Kinder Sprache durch das aktive Erfahren und Erleben am besten lernen, ist besonders das Nachspielen und lebendig werden lassen der Geschichte sehr empfehlenswert. Eine weitere Besonderheit in dem Buch sind die eingebetteten Gebärdenbilder.
Gebärden hemmen die Sprachentwicklung?
Nein. Dieses Gerücht hält sich hartnäckig in vielen Köpfen, wurde jedoch wissenschaftlich widerlegt. Im Gegenteil, Gebärden sind eines der ersten und natürlichsten Kommunikationsmittel der Menschen. Dies wird klar, wenn man ans Zeigen oder Winken denkt. Es gibt immer mehr Erkenntnisse darüber, wie Gebärden die Sprachentwicklung von unterschiedlichsten Kindern in verschiedenen Altersgruppen unterstützen können. Bereits die kleinsten Kinder profitieren von diesem erweiterten Zugang zur Sprache. Studien zeigen, dass Kinder bereits vor dem ersten Wort, ab ca. neun Monaten zum Zeigen von ersten Gebärden in der Lage sind. Dadurch können sie ihre Bedürfnisse schneller äussern, erfahren Selbstwirksamkeit und die Bindung zur Bezugsperson wird gestärkt. Es ist also nicht verwunderlich, dass die Babyzeichensprache oder auch «Baby Sign» immer mehr Anklang findet und in vielen Familien bereits gelebt wird. Hierzu gibt es spannende Kurse für Eltern und ihre Kinder. Aufgrund der vielseitigen, sprachentwicklungsunterstützenden Effekten, wurden im Bilderbuch «Drei Tiere reisen mit dem Zug» wichtige Gebärden der PORTA-Gebärdensammlung integriert. Sie laden dazu ein, einen weiteren, ursprünglichen Kommunikationspfad und Zugang zur Sprache kennen zu lernen und auszuprobieren.
Weiterführende Links:
Bilderbuch «Drei Tiere reisen mit dem Zug», Karin Sauter-Singh & Karin Schmid, 2023; www.karinlenaschmid.ch
Berufsverband Heilpädagogische Früherziehung, Was ist heilpädagogische Früherziehung & Adressenverzeichnis der Dienststellen; https://www.frueherziehung.ch/eltern-und-betreuungspersonen/was-ist-heilpaedagogische-frueherziehung
PORTA Gebärden, Stiftung Tanne;
Babyzeichen Kurse, Zoé Hermes, Herz an Herz Winterthur; https://www.herzanherz.ch/kurse/babyzeichen/
Quellenverzeichnis:
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Boenisch, J., & Sachse, S. (2007). Sprachförderung von Anfang an: Zum Einsatz von Kern- und Randvokabular in der frühen Förderung. Zeitschrift Unterstützte Kommunikation, 3, o.S.
Butzkamm, W., & Butzkamm, J. (2008). Wie Kinder sprechen lernen: Kindliche Entwicklung und die Sprachlichkeit des Menschen. Tübingen: Francke.
Ennetmoser, M., Kuhl, J., & Pepouna, S. (2013). Evaluation des Dialogischen Lesens zur Sprachförderung bei Kindern mit Migrationshintergrund. Verfügbar unter: https://econtent.ho-
grefe.com/doi/10.1024/1010-0652/a000109#_i13
Largo, R. H. (2019). Babyjahre: Entwicklung und Erziehung in den ersten vier Jahren. München: Piper.
Sachse, S. (2009). Kern- und Randvokabular in der Unterstützten Kommunikation. In C. Birngruber & S. Arendes (Hrsg.), Werkstatt Unterstützte Kommunikation (S. 109-126). Karlsruhe: Loeper Literaturverlag
Sarimski, K. (2017). Handbuch interdisziplinäre Frühförderung. München: Ernst Reinhardt Verlag.
Stiftung Lesen, Deutsche Bahn Stiftung, & Die Zeit. (2015). Vorlesestudie 2015. Vorlesen – Investition in Mitgefühl und solidarisches Handeln. Verfügbar unter: https://www.stiftunglesen.de/filead-min/Bilder/Forschung/Vorlesestudie/Vorlesestudie_2015.pdf.
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Wirts, C. (2013). Sprachentwicklung und Sprachentwicklungsstörungen – Früherkennung und Förderung. Verfügbar unter: https://www.familienhandbuch.de/babys-kinder/bildungsbereiche/sprache/sprachentwicklungsstoerungen.php